Etwas mehr als eine Woche ist es her, dass das Ergebnis der Europawahl die deutsche Politik in Aufruhr versetzte. Wer hätte ein solches Ergebnis vorhersagen können? Trotz der schlechten Presse, die die AfD seit Anfang des Jahres bekommen hat, standen die Wähler im Osten Deutschlands fest zu der Partei. Der Autor und Soziologe Steffen Mau erklärt, warum.
“Dumm und undankbar”, “verloren für die Demokratie” – so lautete das Urteil einiger nach den Erfolgen der AfD in Ostdeutschland. Doch lässt sich die Meinung eines halben Landes, von Millionen Menschen, wirklich so einfach beiseiteschieben? Der Autor und Soziologe Steffen Mau ist der Meinung, dass es gute Gründe gibt, warum der Osten so reagiert, wie er reagiert.
In Ostdeutschland erhält die AfD doppelt so hohe Stimmanteile wie im Westen. Schon 2021 – vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine und dem Anstieg der Inflation auf Rekordniveau – war die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen und Thüringen die stärkste Partei. Seitdem hat sich dieser Zuspruch auf Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ausgeweitet – in letzterem Land hat die AfD in diesem Jahr erstmals die Kommunalwahlen gewonnen.
Wie Steffen Mau in seinem Buch “Ungleich vereint” beschreibt, liegt ein Teil des Grundes für diesen Popularitätsanstieg darin, dass die AfD den Wählern im Osten etwas zu geben scheint, was sie vorher nicht hatten: das Gefühl, dass ihre Meinung zählt und sie sich beteiligen können. Zwar habe der Osten mit der Wiedervereinigung technisch sein Selbstbestimmungsrecht erhalten, tatsächlich aber habe er aus Sicht seiner Bewohner nur wenig selbst bestimmen können, so der Autor. “Die Angst vor eigenen und besonderen Strukturen oder vor möglichen Rückwirkungen auf Westdeutschland war groß”, erklärt Mau. Auch heute noch fehlen den Bewohnern des Ostens die Möglichkeiten der Beteiligung.
Hier kommt die AfD ins Spiel, die sich mit Nachdruck und lautstark für die Menschen auf der Straße einsetzt: “Ost, Ost, Ostdeutschland”, ruft der baden-württembergische AfD-Vertreter an der Spitze eines Protestzuges in der Berliner Friedrichstraße. Die AfD gibt den Ostdeutschen also eine Stimme, wo sie früher vielleicht das Gefühl hatten, keine zu haben.
Hinzu kommt, wie Mau betont, dass es in Ostdeutschland schon zu DDR-Zeiten eine rechtsextreme Szene gab. Diese ermöglichte in den 90er Jahren den Aufbau lokaler rechter Strukturen und übt teilweise bis heute ihren Einfluss aus. Laut Mau wird sich nichts verbessern, wenn die Politiker weiterhin den Kopf in den Sand stecken, wenn es um den Osten geht: Es müsse ein Wandel stattfinden, Bürgerversammlungen müssten eingerichtet und gestärkt werden, um eine “dringend notwendige Wiederbelebung der politischen Kultur” zu erreichen.
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Klar, die Wähler sind schuld! Wie wäre es, die selbsternannten "demokratischen Parteien" würden mal die Ursache bei sich selbst suchen?