Modellstadt-Tübingen: Initiatorin entsetzt über die Entwicklung

Tübingen gilt mit seinem Modellversuch seit Tagen als Licht am Ende des Lockdown-Tunnels. Doch inzwischen macht die Initiatorin selbst einen Rückzieher: „Furchtbar“ sagt Pandemiebeauftragte Lisa Federle über die aktuelle Situation.

Der Tübinger Modellversuch nach dem Motto „Testen und Öffnen“ droht zu Scheitern. Innerhalb einer Woche hat sich der Inzidenzwert der schwäbischen Stadt verdoppelt. Wer nachrechnet, kommt zu dem Ergebnis, dass die Schwelle von 100 auch in der Kernstadt nun überschritten sein müsste. Der Landkreis liegt unlängst darüber. „Wenn Tübingen es nicht schafft, die Infektionszahlen zu senken, wäre es mir lieber, wenn wir pausieren“, sagt die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle, die den Modellversuch leitet.

Die Stadt unter Oberbürgermeister Boris Palmer möchte jedoch noch nicht aufgeben. Über Ostern bleiben die Geschäfte vorerst geöffnet. Verschärfte Sicherheitskontrollen sollen dafür sorgen, dass die Corona-Regeln eingehalten werden.

Genau hier liegt auch das Problem. Die Menschen halten sich nicht an Regeln und Empfehlungen, weswegen eine eigentlich gute Idee „Testen und Öffnen“ jetzt zu scheitern droht. In Tübingen zeigen sich zwei Hauptprobleme: Erstens Tagestouristen, zweitens Regelbrecher.

Mit Entsetzen berichtet Federle über Menschentrauben in der Innenstadt. „Ich war selbst in der Stadt, es war furchtbar“, sagt die Notärztin. „Wir haben dermaßen viele Touristen hier, die sich teilweise auch nicht an die Abstandsregeln oder Maskenpflicht usw. gehalten haben – und das geht einfach nicht“, so Federle. Die Stadt habe bereits dazu aufgerufen, zuhause zu bleiben, bis die Impfkampagne weiter vorangeschritten ist. Aber: „Wir kriegen das Tourismus-Problem nicht in den Griff“, sagte Federle gegenüber der dpa.

Außerdem zeigt sich in Tübingen, dass viele Menschen angesichts der Lockerungen auch die bestehenden Regeln nicht mehr ernst nehmen oder ausdehnen. So braucht man z.B. um einzukaufen oder um in einem Café zu sitzen, einen negativen Corona-Test. Ein Coffee-To-Go geht aber auch ohne Test. So tummeln sich zwischen den Menschenansammlungen in der Stadt vermutlich auch Ungetestete. Trotzdem bewegen viele Menschen sich so, als sei alles sicher.

Palmer lässt sich von all dem bisher nicht beirren. Im ZDF-Interview am Donnerstag verteidigte er seine offene Innenstadt: „Wir sind in Deutschland sehr schnell mit so einem Urteil: Erst wird es als bundesweit vorbildlich gelobt. Jetzt werde ich gefragt, ob alles gescheitert ist. Richtig wäre es, sich einmal die Zahlen genauer anzuschauen. Die formale Inzidenz von Tübingen kann man mit dem Rest der Republik nicht mehr vergleichen. Denn: Wer viel testet, findet viel.“

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Martin Beier