Historiker Winkler pocht auf Aufarbeitung von Russland-Politik

Der Historiker Heinrich August Winkler hält die Fehler von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Russland-Politik bisher für völlig unzureichend aufgearbeitet. Es werde in diesem Zusammenhang “zu wenig über die Ära Merkel gesprochen”, sagte Winkler der “Süddeutschen Zeitung” (Freitagausgabe).

“Es gab auch eine christdemokratische Russlandpolitik, die nicht ganz zufällig weitgehend übereinstimmte mit dem, was der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft wollte”, so Winkler, der als Professor an der Freien Universität Berlin, der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Humboldt-Universität zu Berlin lehrte. “Die CDU und die CSU haben die Gefahren genauso ignoriert wie die SPD. Dieses Kapitel muss aufgearbeitet werden.”

Merkel habe sich über den aggressiven Grundzug von Putins Politik keine Illusionen gemacht. Es gebe Äußerungen, die diametral dem widersprächen, was man von Gerhard Schröder hören könne, aber in Sachen Energieversorgung habe sie daraus überhaupt keine Konsequenzen gezogen. Im Gegenteil, nach der Annexion der Krim sei noch der Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf den Weg gebracht worden. “Das war eine strategische Fehlentscheidung.”

Der Autor des Werks “Der lange Weg nach Westen” sagte, auch der amtierende Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe nie die russlandpolitischen Illusionen von Gerhard Schröder geteilt. Aber er habe bis zuletzt, auch noch in der Frühphase seiner Kanzlerschaft, die Pipeline Nord Stream 2 als rein privatwirtschaftliches Projekt bezeichnet – in Kontinuität zu seiner Vorgängerin. “Da kam die Umkehr dann doch sehr spät, nämlich erst nach dem Beginn der offenen russischen Aggression gegen die Ukraine am 24. Februar 2022. Dabei hat die Zeitenwende eigentlich deutlich früher begonnen, nämlich im Jahre 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Beginn des hybriden Krieges im Donbass”, so Winkler. 2014 sei bereits die eigentliche Zäsur gewesen.

dts Nachrichtenagentur

Foto: Bau von Nord Stream 2 (Archiv), via dts Nachrichtenagentur

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